Wadowice wirkt trotz seiner 20.000 Einwohner wie ein kleines, verschlafenes Nest. Es ist der Ort, an dem Johannes Paul II. zur Welt kam und seine Jugendjahre verbrachte. Als wir wenige Tage vor dem offiziellen Beginn des Weltjugendtages dort eintreffen, um für unsere Weltjugendtagssendungen Filmmaterial aufzunehmen, sind die Straßen rund um den Marktplatz schon abgesperrt. Ein Ortskundiger lotst uns auf einen Parkplatz im Schatten des örtlichen Gefängnisses.
Karol, der spätere Johannes Paul II., wurde hier am 18. Mai 1920 als Sohn des Ehepaares Karol und Emilia Wojtyła in der Straße Rynek Nr. 3 geboren. Das Haus steht direkt neben der Kirche, schon früh kam der junge Karol, von allen liebevoll „Lolek“ genannt, dort mit Gott in Berührung. Aber auch mit Leid und Tod. Als er acht Jahre alt war, starb seine Mutter, vier Jahre später sein älterer Bruder Edmund. Auch später, besonders gegen Ende seines Pontifikats sollte das Leid sein ständiger Begleiter bleiben.
Der Pfarrer von Wadowice führt uns durch die beiden Zimmer, die Karol am Schluss alleine mit seinem Vater bewohnte. Das Haus wurde mittlerweile zu einem kleinen Museum umgebaut, einige Gebrauchsgegenstände der Wojtyłas sind noch heute erhalten, andere wurden originalgetreu nachgestellt. Das Schlafzimmer ist klein, gerade groß genug für zwei Betten. In der Küche steht noch die Zuckerdose von damals. An der Wand ein Foto der Mutter.
Ich stehe draußen an der Treppe, über die damals der kleine Lolek hoch in die Wohnung kam. An den Wänden hängen Bilder, die Johannes Paul und seine Verbindung zu seiner Heimat zeigen. Ich sehe ihn als jungen Mann, der sich während einer Bergtour die Schuhe bindet, der Kanu fährt oder mit Freunden in Wadowice abhängt. Und da ist er auch als Priester, als Bischof, als Papst, den es immer wieder in die Heimat zieht, der von seinen Freunden umringt verschmitzt lächelt und selbst in weißer Soutane auf den Skibrettern eine unheimlich gute Figur abgibt. Als ich mit meiner Kamera ein Foto davon mache, steht plötzlich Bartosz hinter mir. Er ist schon etwas älter, aber mit seinem kantigen Gesicht und seinen wachen Augen eine respekteinflößende Gestalt. Er gehört zum Personal des Museums. „No photos“, knurrt er. Ich strahle ihn an. „Ich bin für EWTN hier.“ Er nickt kurz, lässt mich aber vorerst nicht aus den Augen.
Im Erd- und Kellergeschoss gibt es noch mehr Relikte aus der Vergangenheit des polnischen Papstes. Dort wird sein Leben im Schnelldurchlauf nacherzählt. Soutanen, Skistiefeln oder ein auf Filterpapier geschriebener Brief mit Unterschrift von Karol Wojtyła. Alte Videoaufnahmen zeigen mir einen spritzigen, humorvollen Mann, der mit all seiner Leichtigkeit dennoch einen heiligen Ernst ausstrahlt. So, als wolle er das Feuer, das in ihm brennt, auch in allen anderen Menschen entzünden. Ich hatte Johannes Paul immer nur als alten, schwer kranken Mann in Erinnerung, doch nun konnte ich in etwa verstehen, was Kardinal Meisner damit meinte, als er einmal über Johannes Paul sagte: „Der riecht nach Gott.“
Nachdem unser Dreh beendet ist, setzen wir uns im Schatten des JPII-Hauses in ein Café. Der Trubel ist größer geworden, immer wieder ziehen Pilgergruppen mit wehenden Fahnen an uns vorbei. Und dann taucht wieder Bartosz auf. Er hat Mittagspause und setzt sich zu uns.Wir sind gerade dabei, jene Cremeschnitten zu essen, die Johannes Paul II. bei einem seiner Heimatbesuche erst berühmt gemacht hat. Über Bartosz‘ Gesicht huscht ein kurzes Lächeln. Dann berichtet er, wie Johannes Paul damals nach langer Zeit wieder einmal nach Wadowice kam und dort regelrecht in Plauderstimmung geriet. Hier in seiner Heimat erzählte er unter anderem, wie er mit seinen Freunden damals regelmäßig in die Konditorei ging, um Cremeschnitten zu essen. Dabei wurden oft regelrechte Wettessen veranstaltet. Der junge Lolek habe sich gar nicht so schlecht geschlagen, meint Bartosz. Bis zu 18 Stück, so sagt die Legende, soll der spätere Papst problemlos verdrückt haben.
Seit Johannes Paul diese Anekdote erzählt hat, ist ein regelrechter Run auf die Cremeschnitten in Wadowice entstanden. Pilger aus aller Welt, die auf den Spuren des großen Heiligen in diese Stadt kommen, besuchen neben dem Geburtshaus und der Kirche auch die zahlreichen Konditoreien. Diese dürften jetzt, da der Weltjugendtag begonnen hat und mehr als 1,5 Millionen Besucher erwartet werden, den Umsatz ihres Lebens machen.